„Diese reiche Spekulantenfamilie aus London, die Familie Passy, meint wohl, mit Wohnungen machen zu können, was sie wollen“, kritisiert eine junge Frau. Sie war Hausbesetzerin in der Wilhelm-Raabe-Straße 4. Ein mittlerweile beendetes „Projekt“ der Linken, das für viel Wirbel sorgte.
2018. Im Zuge einer linken Demonstration im Stuttgarter Süden besetzt eine Gruppe Wohnungsloser ein leerstehendes Haus im Stuttgarter Süden. Das Haus in der Wilhelm-Raabe-Straße 4, wurde im Mai okkupiert, die Protagonisten kommen in dem verlinkten Image-Film zu Wort.
Die Stadt greift durch: Mit Konsequenzen!
Kurze Zeit später ist der Traum vom mietfreien Wohnen vorbei: Nach einem Monat räumte der Vollzugsdienst der Stadt die besetzten Wohnungen. Es wird Strafanzeige gegen die Hausbesetzer gestellt, im April 2019 werden die Linken zu Geldstrafen verurteilt. Eigentümer des Hauses sei jetzt eine Immobilienfirma aus London – die schließlich auch die Räumung ihrer Wohnungen durchgesetzt hatte.
Einer der klassischen Fälle gescheiterter linker Träume, die mehrfach jährlich platzen? Jein. Zwar wurde die illegale Besetzung schnell beendet, doch das Ganze hatte ein Nachspiel. Denn jetzt flatterte die Rechnung für die Räumung ins Haus: rund 11.200 Euro müssen die ehemaligen Besetzer zahlen.
Frage über Eigentum und Wohnungsleerstand
Besonders pikant: Noch immer stehen vier der fünf Wohnungen leer – was die Eigentümer damit vorhaben, ist nicht bekannt. Die Linken vermuten einen typischen Leerstand, um eine Wertsteigerung abzuwarten und dann luxuriös zu sanieren. Ob diese Strategie dahinter steckt? Möglich, aber irrelevant. Denn trotz des Lamentierens und Kritisierens, des „Aufschreis“ gegen den Kapitalismus, dürfen Eigentümer noch immer über ihr eigenes Eigentum verfügen – und es natürlich auch leer stehen lassen.
Warum dann der sinnlose Protest und immer neue Besetzungen? Tatsächlich gelingt es den Linken oftmals, politischen Druck aufzubauen und schließlich Kompromisse oder gar Lösungen zu erreichen. Ein aktuelles Beispiel war eine Besetzung in Bremen, bei der Linksradikale ein leerstehendes Gebäude okkupierten – und schließlich von der Stadt Wasser und Strom bezahlt bekamen. Dazu benötigte die Stadt aber noch eine Begehung durch Fachpersonal, da die Wasserleitungen möglicherweise veraltet seien, berichtet man im „Weser-Kurier“.
Aber zurück nach Stuttgart: Im Promo-Video zieht eine Sprecherin den Übertrag zum gesellschaftlichen System, dem Kapitalismus. Dass wir gar nicht mehr im „reinen Kapitalismus“ leben, das meiste Geld im Staat auch tatsächlich durch die Hände des Staates fließt, sei mal beiseitegeschoben. Statt des Worts Kapitalismus geht es nämlich eigentlich um Schutz des Eigentums – ein Schutz, der im Grundgesetz verankert ist. Wo zieht man die Linie zwischen Wohneigentum (im Falle des Investors) und anderen Eigentumsgegenständen, wie beispielsweise dem Bücherregal oder der Lampe im Hintergrund der sich erklärenden Besetzer? Ein philosophisches Problem, dass die Linke seit der Antike kennt – und noch nie lösen konnte.
Dass die Besetzer und ihr Alt-68er-Anwalt, der es sich im Video nicht nehmen lässt, „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“ heraus zuschmettern, nicht der Meinung sind, dass man über Wohneigentum frei verfügen kann, ist also keine Überraschung.
Schnelle Soli-Aktion
Doch trotz aller „Ungerechtigkeit“ – die Rechnung über 11.200 Euro steht und muss bezahlt werden. Die recht unbekannte Organisation „Solidarität und Klassenkampf“ tritt auf den Plan und macht sich für die ehemaligen Besetzer stark, organisiert Spenden und tatsächlich: Innerhalb kurzer Zeit gelingt es, die Summe einzusammeln. „Solidarität und Klassenkampf“ dreht auch besagtes Video, das aber online überraschend schlecht ankommt – die außerparlamentarische Linke, vor Jahrzehnten am Puls der Zeit, hat den Sprung in die sozialen Medien vielerorts verpasst, versucht aber zumindest aufzuholen.
Aber wer ist „Solidarität und Klassenkampf“? Das „Netzwerk“ aus dem Südwesten Deutschland, der neben Berlin und Leipzig einer der Hot-Spots der linke Szene ist, sagt über sich selbst:
„Wir haben es satt, dass die Lebenssituation in diesem Land für viele von uns immer schlechter wird. Deshalb kämpfen wir deswegen gemeinsam mit allen, denen es genauso geht, gegen Ungerechtigkeit und für ein solidarisches Miteinander.“
Stark vertreten ist die linke Szene in Tübingen, Stuttgart und Freiburg, wo jeweils sogenannte „Kulturzentren“ die Basis bilden und teilweise von der Stadt mitfinanziert werden. So auch im „Linken Zentrum Lilo Herrmann“ in Stuttgart. Das Kulturzentrum erhält allerdings keine direkt Förderung, sondern verwaltet sich mitlterweile Hilfe des „Mietshäuser Syndikats“ selbst. Allerdings vermietet das „Linke Zentrum“ an staatsnahe Organisationen, wie Parteien (die „LINKE“, die „DKP“) oder die verdi-Jugend Stuttgart und kann damit ihre Kosten abfedern. In ihren Räumlichkeiten finden zudem Veranstaltungen von linken und linksradikalen Organisationen statt, wie eine Kleine Anfrage der von Christina Baum (AfD) 2020 ergab.
Woher kommt sie, wohin geht sie?
Aus diesem Umfeld ist mutmaßlich „Solidarität und Klassenkampf“ entstanden, die auf ihrer Seite zwar kein Impressum angibt, aber als Treffpunkt den Veranstaltungssaal des „Linken Zentrum Lilo Herrmann“ angibt. Wer das Projekt finanziert und unterhält ist nicht ersichtlich, allerdings zeigen die bisher gebrachten „Aktionen“, dass man eine gewisse Nähe zu den klassischen Arbeitern und Gewerkschaften und den Erziehern vorweist. Zuletzt haben einige Vermummte ein großes Banner vor Südwestmetall Stuttgart entrollt und Bengalos gezündet – zuvor hatte ein Teil der Gruppierung, die sogenannte „AG ErzieherInnen“ sich mit Plakaten vor das Landesgesundheitsministerium gestellt und für einen totalen „Shut-Down“ der KiTas und der Wirtschaft plädiert.
„Solidarität und Klassenkampf“ ist noch eine kleine Gruppierung, aber die Vielfältigkeit der Agitation und die teils professionellen Beiträge und Kampagnen, werden die „Bewegung“ oder das „Netzwerk“ – ganz wie man will – schnell wachsen lassen. Ob die Gruppierung in den kommenden Verfassungschutzberichten auftauchen wird? Ganz bestimmt! Sozialistische Graswurzelbewegungen haben Aufwind – trotz, oder gerade wegen Corona.