Mit dem überraschenden Rücktritt der Berliner Fraktionsspitze der Linkspartei, werden viele Fragen aufgeworfen. Zwar fährt die LINKE im Abgeordnetenhaus seit geraumer Zeit einen mehr oder weniger gut umgesetzten Verjüngungskurs, allerdings ist mehr als fraglich, ob der Austausch der beiden mächtigsten LINKEN in Berlin damit zu erklären ist.
Bei Carola Bluhm und Udo Wolf handelt es sich um erfahrene und souveräne Politiker, die nicht für Skandale gesorgt haben und trotz Regierungsverantwortung in den Umfragewerten stark zulegten. Nach der Wahl zu Rot-Rot-Grün im September 2016 zog die LINKE mit 15,6 Punkten ins Abgeordnetenhaus ein, zwischenzeitlich stieg man auf 22 Prozentpunkte und überholte sogar die CDU als stärkste Kraft.
Die LINKE im Corona-Tiefflug
Ob allerdings der kleine Abfall auf 14 Prozentpunkte während der Corona-Krise für den Wechsel der Spitze verantwortlich ist, wie manche Stimmen vermuten lassen, ist zu bezweifeln. Denn bislang beruhen diese Ergebnisse auf einer einzigen Umfrage vom RBB (Stand 22. April 2020)
So wenig Sitzfleisch haben nicht mal die Linken-Politiker, die schon immer im starken Spannungsverhältnis zwischen einer extremeren und progressiveren Basis und der realpolitischen Spitze – gerade in Berlin – stehen. Was steht also hinter dem Wechsel? Bluhm und Wolf erklärten am Mittwoch: „Mit einem geordneten und frühzeitigen Übergang kann sich die Linksfraktion optimal auf die kommende Abgeordnetenhauswahl im nächsten Jahr vorbereiten“ Ein Ende kurz vor der Wahl im Juni 2021 ist per se schädlich, da die Wähler die neuen Gesichter schlicht und einfach nicht kennen. Doch auch das erklärt nicht so recht das Ende der Fraktionsspitze.
Das offizielle Statement von Carola Bluhm gegenüber der „taz“ geht in die generationsübergreifende Richtung: „So habe ich mir das immer gewünscht: Einen Rücktritt, wo es nicht zu sehr um mich geht, sondern um die Potenziale, dass Jüngere, die es genauso gut können, den Vorsitz übernehmen.“ Zudem sei der Wechsel bereits im März angeklungen, gibt die „taz“ zu bedenken.
Autoritärer Vorschlag?
Merkwürdig an dieser Entwicklung ist, dass Bluhm und Wolf bereits die potenziellen Nachfolger ins Spiel bringen: Anne Helm und Carsten Schatz. Innerhalb der Linken stößt vielen der Vorstoß übel auf. Auf der einberufenen Telefonkonferenz kritisieren die Teilnehmer die quasi-autoritäre Nachfolgerempfehlung, berichtet das „Neue Deutschland“: „Einen solchen weitreichenden Vorschlag nicht einmal mit der Landesvorsitzenden abzustimmen und darauf zu bestehen, dass allein die amtierenden Fraktionsvorsitzenden wüssten, was gut für Partei und Fraktion sei, ist ein befremdlicher Affront gegen die Partei, wie ich ihn in dieser Form in unserem Landesverband nicht für möglich gehalten hätte“.
Verständlich, da die LINKE sich sehr basisdemokratisch gebärdet und über derartig weitreichende Änderungen auf dem Parteitag abstimmen wird. Dass Helm und Schatz bereits mit einer Art Empfehlung ihrer Vorgänger ins Spiel gebracht wurden, ist merkwürdig. Auch die Formulierung Bluhms im Gespräch mit der taz: „Nach einer kurzen Einarbeitungszeit mit Udos und meiner Unterstützung werden sie einen sehr guten Job machen.“ Das ist mehr als eine Empfehlung.
Zwei Vertreter der „neuen“ Linken
Carsten Schatz, Ausdruck und Aussehen eines gealterten Antifa-Kriegers, den man in Weste und Krawatte gezwungen hat, ist der erste „offen HIV-positive Abgeordnete“ in Deutschland, berichteten die Zeitungen nach der Berliner Wahl 2011. Aufgrund des Todes von Lothar Bisky rückte Schatz indirekt nach.
Auch Anne Helm ist keine Unbekannte. Februar 2014 dankte sie, damals noch bei den Piraten, mit nacktem Oberkörper „Bomber Harris“ für die Zerstörung Dresdens im 2. Weltkrieg. Eine typische Symbolgeste der antideutschen Linken, die mit Abscheu auf die eigene Geschichte und das eigene Volk blicken. Aufgrund des Aufschreis der Presse und sogar der Grünen und der SPD distanzierte sie sich nachträglich von ihrer Aussage. Nur ein halbes Jahr später wechselte sie mit einer Handvoll Kollegen von den Piraten zur Linkspartei. Aktuell äußert sie sich gegenüber dem „ND“ mit „zu Dresden habe ich alles gesagt, das ist mittlerweile über sechs Jahre her – man lernt dazu“.
Paradigmenwechsel
Helm ist eine Vertreterin der „Neuen Linken“, die nur noch wenig mit den EX-SEDlern und damit auch mit den auf gewisse Weise konservativen Linken Ostdeutschlands gemein haben. Sie hat auf eindrucksvolle Weise ihren antinationalen „Bomber-Harris“-Standpunkt bekanntgegeben. Und politische Einstellungen ändern sich bekanntlich nicht so leicht, wie die öffentlich wirksamen Distanzierungen, sollte man sich zu weit aus dem Fenster gelehnt haben.
Auch Schatz geriet 2005 in die Schlagzeilen, als er – gelernter Historiker – davon sprach, die Berliner Mauer sei „nicht irrational“ und zur „Existenzsicherung der DDR“ nötig gewesen. Trotzdem ist Schatz eher der modernen Linken zuzuordnen, die ihren Fokus auf Identitätspolitik, Queeres und Homosexualität legen. Jahrelang war Schatz im Vorstand der Deutschen Aidshilfe, was sicherlich eine anzuerkennende Leistung ist, aber dann doch wenig mit Linker Kommunalpolitik am Hut hat. Auch aktuell ist sein Fokus klar: Am 30. April retweetete er die Forderung „Lesben*in in Marzahn-Hallersdorf stärken“. Lesben_in. Dieser Begriff ergibt so viel Sinn, wie die Fokussierung von Kommunalpolitik auf sexuelle Ausrichtung: Gar keine.
Bund legt vor – Land legt nach?
Ob wirklich die Umstrukturierung der LINKEN hinter diesen personellen Veränderungen steckt? Wir erinnern uns an den Machtkampf zwischen Katja Kipping und Sarah Wagenknecht, die Letztere verabschiedete sich schließlich von der großen Politik und zog sich innerhalb der LINKEN zurück. Kipping ist war Ostdeutsche, aber zu jung um mit DDR und SED in Berührung gekommen zu sein, Riexinger, der zweite Parteichef der Linken, kam über die WASG zu den Linken und ist klar der neuen Position um Klimaschutz und offene Grenzen zuzuordnen.
Was auch immer die Verschiebung auf sich hat: Es bleiben Mutmaßungen, die sich spätestens 2021 bewahrheiten könnten, wenn es wieder heißt: Die Hauptstadt wählt. Sollte Berlin wieder für Rot-Rot-Grün stimmen, könnten zwei Szenarien anbrechen: Die SPD und die Grünen werden mit einer stark progressiven Linken der Stadt noch weiter zusetzen – oder: Die Linken werden sich mit ihren weltfremden neuen Kandidaten ins eigene Bein schießen und es wird nicht mehr für Rot-Rot-Grün reichen.