„Der Begriff Linksextremismus erhält seinen Gehalt in der Verabsolutierung der aufklärerischen Ziele von Freiheit und Gleichheit, wie sie sich insbesondere in den Ideen von Kommunismus und Anarchismus ausdrücken“
So leitet der neue Verfassungsschutzbericht 2019 des Landes Berlin das Kapitel über Linksextremismus ein. Trotzdem folgen immer mehr junge Menschen in der Hauptstadt den hehren Idealen von absoluter Gleichheit. Im Vergleich zum letzten Jahr stieg die Zahl der Linksextremen von 3.140 Personen auf 3.400 Personen. Damit ist das Wachstum in der linken Szene ungebrochen.
Anstieg der Unterstützer und typische Agitationsmuster
Zwar stieg vor allem die Zahl der Mitglieder der „Roten Hilfe“, einer linksextremen Organisation, die eher „unterstützend tätig“ sei, allerdings bleibt die Zahl der gewaltbereiten Autonomen mit 600 (2018:610) konstant hoch.
2019 war insbesondere von Angriffen auf die Berliner AfD geprägt, zudem wurde mit sogenannten „Outings“ Namen und Daten von Privatpersonen veröffentlicht. Zudem fanden Angriffe auf Unternehmer statt, die meist aufgrund ihrer Tätigkeit auf dem Immobilienmarkt in den Fokus der Linksextremen geraten sind. Mittlerweile sorgt sich die Szene ebenso vor Gentrifizierung und Räumung ihrer verwahrlosten Kieze, wie vor angeblichen und echten Rechten.
Ein Punkt, der in den bisherigen Verfassungsschutzberichten kaum Erwähnung fand, waren die Angriffe auf die Infrastruktur der Stadt, die seit 2011 regelmäßig stattfinden. Eine Gruppe, die sich speziell diesem Gebiet gewidmet hat, nennt sich selbst „Vulkangruppe“. Die Verfassungsschützer schreiben:
„Als Ziel wählten sie zumeist Kabelschächte an Bahntrassen. In einigen Fällen griffen sie Funkmasten oder Datenleitungen, teilweise auch Firmenfahrzeuge an. Diese Sabotageakte sollen die Verwundbarkeit der urbanen Mobilitäts- und Kommunikationsinfrastruktur offenbaren, die öffentliche Ordnung stören und erheblichen Sachschaden anrichten.“
Damit wolle man die Verwundbarkeit des Kapitalismus aufzeigen und brandbeschleunigend wirken. Ähnlich wie Rechtsextreme fiebern viele Linksextreme dem Tag des Umsturzes entgegen, dem „Tag X“, der den Ausbruch aus dem demokratischen System und eine Änderung der Verhältnisse mit sich führen wird. Erschreckend ist an dieser Stelle zu nennen, dass das Land Berlin nicht dazu in der Lage ist, die Anzahl der Mitglieder der Vulkangruppe anzugeben.
Von Autonomen zu Postautonomen
Auch hat mittlerweile eine strategische Verschiebung in linksextremen Kreisen stattgefunden. Die klassischen Autonomen, die vermummt Andersdenkende angreifen und Autos anzünden, existieren war noch immer, allerdings wächst vor allem die Szene der sogenannten Postautonomen weiter an. Mit modernen Mitteln versucht man metapolitisch aktiv zu werden, Strukturen aufzubauen und Themen zu besetzen:
„Zum anderen setzen sie in der Mitte der Gesellschaft an, indem sie breit anschlussfähige Themen aufgreifen und diese in Kampagnen – niedrigschwellig und zuspitzend – so aufbereiten, dass möglichst viele Menschen zu einer aktiven Beteiligung motiviert werden.“
Der große Aufschrei folgt zum Schluss. Die Gruppe „Ende Gelände“ wird als linksextremistisch eingestuft. „Ende Gelände“ kann in der Hauptstadt auf ungefähr 30 Anhänger zurückgreifen, und ist seit 2015 aktiv. Beim Kampf gegen den Braunkohleabbau greift „Ende Gelände“ zum zivilen Ungehorsam und nimmt „mindestens billigend“ Gewalt in Kauf, schreibt der Landesverfassungsschutz.
Ökologischer Linksextremismus
Damit findet zum ersten Mal eine klar als ökologisch einzuordnende Gruppierung Einzug in den Verfassungsschutzbericht. Scharfe Kritik kam von den Grünen und den Linken: „Nach der Logik des Berliner Verfassungsschutzes müsste man Gandhi als extremistisch einstufen.“ Die SPD, der das Ressort für Inneres unterstellt ist, verteidigt die Einstufung. Zwischen den rot-roten-Koalitionspartnern brodelt es.
Grundsätzlich hat man es hier mit dem nebulösen Phänomen des modernen Linksextremismus zu tun. Aus einer großen, öffentlich auftretenden Gruppe mit linksradikaler Grundeinstellung, die definitiv alle Unterstützer von „Ende Gelände“ haben, agieren einzelne Akteure auch tatsächlich linksextrem und nehmen die Gefahr für Leib und Leben billigend in Kauf. Bei Auseinandersetzungen im Brandenburgischen Jänschwalde letzten November wurden beispielsweise drei Polizisten von Ende-Gelände-Aktivisten verletzt.
Das Problem der Trennlinie
Die typische Reaktion der Gruppe ist die Hände in Unschuld zu waschen und die Verantwortung bei den Beamten zu suchen. Man selbst sei nicht gewalttätig. Und tatsächlich haben die meisten der Anhänger Recht. Allerdings entstammt aus ihrem Milieu eben auch der Hang zu gewaltsamen Aktionen, der rechtfertigt, sie im VS-Bericht zu nennen.
Die öffentlich auftretenden Demonstranten wirken wie kleine Kinder und magere Studenten, die für eine bessere Zukunft kämpfen. Der eher linken Presse, die im Fall von Ende Gelände auf Seiten der Aktivisten steht, hat es mit diesen Bildern mehr als einfach, den Verfassungsschutz zu kritisieren. Trotz alledem sind auch unter den friedlichen Demonstranten Personen, die bereit sind, mit Gewalt gegen den Staat vorzugehen.