Die bundesdeutschen Linksextremen befinden sich auf dem Rückzug. Gleichzeitig wächst der „harte Kern“ der Szene und damit auch die mitunter brutalen Übergriffe gegen politische Gegner, wie den Überfall auf eine Angestellte einer Immobilienfirma in Leipzig oder die koordinierten Angriffe durch Lina E. Gleichzeitig geraten die Strukturen der Linksradikalen weiter unter Druck, allein 2021 wurden mehrere besetzte Gebäude geräumt. Auch der Dreh- und Angelpunkt der bundesweiten Szene, das linksextreme Portal „indymedia“, steht weiter unter Beschuss und ist seit längerem nur noch über den TOR-Browser erreichbar.

Gleichzeitig hat die linke Szene ein Nachwuchsproblem. Immer weniger junge Leute interessieren sich für den radikalen Kampf gegen Staat, Kapitalismus und grünsituiertes Wohlstandsbürgertum. Falls man doch mal bei den Radikalen schnuppert, ist man schnell wieder weg vom Fenster. Offensichtlich versucht die linksradikale Szene diesen Verfallsprozessen entgegenzuwirken. Auf „indymedia“ versucht man einen Aufruf, um die eigenen Strukturen – die oftmals nur kurzfristig und themenabhängig aufflammen – dauerhaft zu bündeln und zu organisieren. Unter dem Stichwort: „KOORDINATION RADIKALER SOLIDARITÄT“.

Neben dem szenetypischen Sprech samt Größenwahn und Realitätsverlust erklärt man den Ursprung der neuen „Bewegung“. Im Einsatz für die Freilassung des griechischen Terroristen Dimitris Koufontinas, der seit Jahren im Gefängnis sitzt, weil er griechische Polizisten ermordet hat, haben die deutschen Linken offensichtlich gemerkt, dass sie ihren Einsatz ausdehnen müssen.

Ziel dieser Koordination ist es, Ideen und Praktiken radikaler Solidarität zu entwickeln, um der sich immer mehr verschärfenden Unterdrückung zu begegnen und sich offensiv dagegen zu wehren. Für uns bedeutet Solidarität weder Helfersyndrom noch Paternalismus. Es geht nicht darum, irgendwelche Privilegien zu haben und aufrechtzuerhalten, indem man die Trennung zwischen Helfern und jenen, denen geholfen wird, reproduziert. Solidarität bedeutet für uns, Unterdrückungssysteme zu zerstören, die Privilegien reproduzieren. Es geht um gegenseitige Hilfe und das Teilen von Ideen, Vorschlägen, Praktiken und Verantwortlichkeiten.

– indymedia

Konkret werden die Linksextremen leider nicht, aber es lässt sich interpretieren, dass sich eine Organisation bilden soll, die Akteure und Gruppen „horizontal vernetzen“ soll. Diese Formulierungen sind in der linken Szene extrem wichtig, da die Personen Abscheu vor jeglichen „hierarchischen Strukturen“ haben. Dementsprechend darf kein Gremium über anderen Gruppen stehen – was in der Praxis die Koordiantion aber enorm erschwert.

Aus den kriminellen Absicht der Gruppierung machen die Autoren keinen Hehl:

„Radikale Solidarität gegen Unterdrückung! Sabotiert das System! Für eine Welt ohne Gefängnisse. Solange wir nicht alle frei sind, sind wir alle inhaftiert.“

Handelt es sich dabei um eine typisch linke Kopfgeburt? Oder ist von den neuen Strukturen etwas zu erwarten? Da im „Statement“ der Gruppe mehrfach Berlin angesprochen wird, muss man dazu einen Blick auf das dortige linksextreme Personenpotenzial werfen: Knapp 1.000 gewaltbereite Linksextreme, dazu kommen 2.400 nicht-gewaltbereite Linksextreme. Eine nicht geringe Anzahl radikaler Linker, die aber nur noch selten an einem Strang ziehen, meistens dann, wenn sie sich wieder unter Druck gesetzt fühlen. Diese neue Organisationsform könnte das linksextreme Potenzial sicher potenzieren – sollte es denn umgesetzt werden. Denn das größte Hindernis im Weg der Linksextremen sind noch immer die Linksextremen selbst: Kiffen, Saufen, Pennen sind die Haupthindernisse hin zu einer schlagkräftigen politischen Bewegung.

Klar sein muss aber auch: Ein derart starkes Personenpotenzial für die Hauptstadt hat nicht nur mit der großstädtischen Anziehungskraft auf Linksextreme zu tun: Die Berliner Politik hat jahrelang verschlafen, gegen den linken Sumpf vorzugehen, wie man auch bei den jüngsten Krawallen um die Räumung der Rigaer Straße 94 beobachten konnte.