Vor gut zwei Wochen wehte ein Twitter-Shitstorm über die Bundeszentrale für politische Bildung hinweg. Der Anlass war auf den ersten Blick kein großer: Die „BPB“, die seit Jahrzehnten die politische Bildung in Deutschland betreut und vorantreibt, definiert politische Begrifflichkeiten. So auch die „offizielle“ Linksextremismusdefintion. Dort hieß es: „Im Unterschied zum Rechtsextremismus teilen sozialistische und kommunistische Bewegungen die liberalen Ideen von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.“
Sofort brach die Entrüstung los: Linksextremismus habe nichts mit den klassischen Idealen der französischen Republik – daher kommen nämlich „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ zu tun -, so die Kritik von konservativer und liberaler Seite. Ein erster Blick auf die typisch schwarz-vermummten Linksextremen bestätigt die Kritik an der harmlosen Definition der BPB. Allerdings muss man an dieser Stelle auch so gerecht sein und den kompletten Absatz der BPD zitieren: denn es geht weiter mit den Worten: „ […] interpretieren sie aber auf ihre Weise um. So will die extreme Linke durch revolutionäre Aktionen den Sturz des Kapitalismus herbeiführen, um dann die sozialistische Gesellschaftsordnung zu errichten.“
Bundesinnenministerium interveniert
Nachdem die Kritik aber losgetreten war, „bat“ das Bundesinnenministerium, die BPB die Defintion zu ändern. Seit neustem heißt es auf der Seite der Bundeszentrale:
„Linksextremismus ist ein Sammelbegriff für alle gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebungen, die sich insbesondere in den Ideen von Anarchismus und Kommunismus ausdrücken. Allen gemeinsam ist, dass die von ihnen als ‚Kapitalismus‘ und ‚Obrigkeitsstaat‘ bezeichnete bestehende demokratische Staats- und Gesellschaftsordnung als Ursache aller vorhandenen Missstände gilt und deshalb im Wege einer gewaltsamen Revolution abzuschaffen ist. Zentrales Ziel ist, zunächst eine sozialistische Ordnung zu schaffen, um von dieser ausgehend letztlich ein klassenloses kommunistisches System zu errichten. Die Anwendung von Gewalt wird in einer selbst zu definierenden revolutionären Phase für legitim und unverzichtbar angesehen. Es handelt sich demnach um Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind und die von ihr vertretenden Werte wie Freiheit und Gleichheit abschaffen wollen.“
Eine deutlich treffendere Beschreibung für das Phänomen Linksextremismus, welche die bundesdeutschen Linken aber nicht nur wegen der „Hörigkeit“ gegenüber dem Innenministerium kritisieren. Auch die inhaltliche Verschiebung wird scharf angegangen. Das hat mehrere ideologische Gründe, die in der Debatte um Linksextremismus zu kurz kommen:
Hufeisen
Die Hauptkritik von linker Seite richtet sich gegen die Gleichsetzung von linksextremer und rechtsextremer Seite: Da der bundesrepublikanische Diskurs seit Jahrzehnten linksdominiert ist, versuchen die Anhänger dieser durch Frankfurter Schule, Neomarxismus und „Kritische Theorie“ geprägten Intellektuellen-Schicht Rechtsextremismus als omnipräsentes Feindbild und Linksextremismus als „etwas zu radikale Umsetzung“ einer eigentlich guten Idee zu stigmatisieren. Mit der neuen Definition aber bestätige die BPB aber die verschiedenen Ansätze der sogenannten „Extremistheorie“, in der Links- und Rechtsextreme auf gleiche oder vergleichbare Weise die bürgerliche Mitte bedrohen.
Abseits linker Redaktionsstuben, die die Existenz dieser Parallelität regelmäßig mit hanebüchenen Erklärung widerlegen wollen, ist die Extremismustheorie eine der geläufigsten Ansätze der Politikwissenschaft, was allein beim Thema „Gewalt“ und „Systemfeindlichkeit“ belegt werden kann. Links- und Rechtsextreme verwenden Gewalt gegen Staat und Andersdenkende und versuchen das bestehende System revolutionär zu beseitigen. Die neue Definition der BPB schlägt klar in diese Kerbe – und wird deswegen von „taz“, „belltower.news“ und „jungle.world“ vehement abgelehnt. Verständlich, da die teils linksradikalen Medien ihre extremeren Vebündeten in Schutz nehmen müssen.
Der Autor: Hans-Gerd Jaschke
Ein hochinteressantes Argument der Linken gegen die neue Defintition ist der Verweis auf die alte Definition. Kein „linker Theoretiker“ sei für die Beschreibung des Phänomen Linksextremismus verantwortlich, sondern ein „anerkannter Politologe“. Na dann? Alles in Ordnung? Jein! Natürlich arbeiten die meisten Wissenschaftler wissenschaftlich, allerdings sind fast alle Vertreter der Sozialwissenschaften als politisch links einzuordnen; rechte Politikwissenschaftler sind die absolute Ausnahme.
Einen Blick auf den Autor Hans-Gerd Jaschke zeigt zudem, dass er in Frankfurt Politikwissenschaften studiert hat und dort als Privatdozent arbeitete. Frankfurt gilt auch Jahrzehnte nach den 50er- und 60er Jahren als Zentrum der „Kritischen Theorie“ und der „Frankfurter Schule“. Zudem forscht Jaschke mit dem Schwerpunkt „Neue Rechte“ und „Rechtsextremismus“, was den Verdacht erhärtet, dass Jaschke selbst eher politisch links einzuordnen ist.
Bewusst und unbewusst. Denn auch wenn linke Wissenschaftler vollkommen unbefangen forschen oder publizieren, kommt es schnell zu linken Trugschlüssen, wie beispielsweise der Verfechtung eines linearen, marxistischen Geschichtsbildes: Linke Theoretiker gehen nämlich davon aus, dass der Lauf der Geschichte festgeschrieben ist und sich eine Gesellschaft immer „weiterentwickelt“ – bis zum klassenlosen Endpunkt. Für sie steht linke Politik in der Tradition der Aufklärung und des Dekonstruktivismus gewachsener und damit hierarchischer Strukturen. Anders gesprochen: Die Befreiung unterdrückter „Trans*Personen“ im Jahr 2021 ist ein logischer Fortschritt aus der Entwicklung seit der französischen Revolution. Und genau diese Definition ist es, die bei Jascke durchschimmert. Eine linke Definition eines linken Wissenschaftlers – der vielleicht gar nicht einmal tendenziös sein wollte.
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit?
Ideengeschichtlich gibt es durchaus Kontinuitäten zwischen der französischen Revolution und der modernen Linken. Allerdings auch himmelschreiende Unterschiede, die Angesichts der linken Interpretationshoheit aber allzu leicht in Vergessenheit geraten. Dass die Linke vor 200 Jahren wie auch ihre Epigonen die Begriffe „Gleichheit und Brüderlichkeit“ hochhalten, ist wenig verwunderlich. Interessanter ist doch, den Begriff der „Freiheit“ zu analysieren. Freiheit vor 200 Jahren war etwas vollkommen anderes, als „Freiheit“ in der heutigen Zeit.
Traditionell wollte die Linke, egal ob republikanisch, föderal oder anfänglich auch marxistisch, eine Loslösung von Zwang. Mittlerweile hat sich aber die „negative Freiheit“, also die „Freiheit von etwas“ gewandelt und ist durch den Siegeszug der linksliberalen zu einer „positiven Freiheit“ transformiert worden: Heute stellen sich die Linken, auch Linksradikale und sogar Extremisten, hinter einen Freiheitsbegriff, der ihnen ein Wunschleben ermöglicht. Stichwort: Grundeinkommen. Menschen sollen regelmäßig bedingungslose Zahlungen erhalten, um die Freiheit zu besitzen, mit ihrem Leben machen zu können, was sie wollen und nicht in „Lohnarbeit geknechtet“ zu werden
Hehre Ideale und Doppelmoral
Das Perfide an dieser Argumentationsstrategie: Das Geld für die „Freiheit“ muss irgendwo herkommen, also aus dem Säckel der arbeitenden Bevölkerung, die dadurch Zwang unterworfen wird. Dass in der linksradikalen Realität dergleichen schizophrene Verwirklichung geworden ist, zeigen die Angriffe gegen den Staat und seine Strukturen – aber das Leben vom Jobcenter. Überdurchschnittlich viele Linksradikale sind arbeitlos. Insofern ist auch der Begriff der „Freiheit“ eine aus verdrehter linker Weltsicht ideengeschichtliche Kontinuität und die radikale Linke sieht sich selbst in dieser revolutionären Tradition.
Und diese Mythologisierung als Kämpfer für Freiheit, Gleichheit Brüderlichkeit ist es, die den modernen Linken glauben lässt, dass Linksextreme die „besseren Extremisten“ seien, wie die BILD-Zeitung in diesem Zusammenhang fragte. Wer sich selbst und die seinen als Kämpfer für die Aufklärung sieht, der will nicht mit Rechtsextremisten gleichgesetzt werden. Und wenn der Staat, als erklärter Freund-Feind – die „BPP“ ist das Opfer, das Bundesinnenministerium der Täter – die Defintion austauscht, macht man eben gewaltig Stunk.