„Übrigens, so schön ‚Liebesinsel‘ klingt, der Zauber davon geht wieder verloren, wenn Sie sich den Namen des Ganzen vergegenwärtigen. Die sich so mächtig hier verbreiternde Spreefläche heißt nämlich der ‚Rummelsburger‘ See.“
So schrieb Theodor Fontane im Roman „Der Stechlin“ über den See zwischen Berlin-Friedrichshain und Berlin-Lichtenberg . Das Erholungsgebiet am Rande der Hauptstadt hat sich seit den Zeiten liebender Fontane-Paare vor 120 Jahren stetig verändert. Heute säumen Wohngebiet und Einkaufszentren das Wasser. Die Gegend in Berlin-Rummelsburg boomt, allein durch die Lage. 2019 wurde sogar die Unterwasserwelt und der Erlebnispark „Coral World“ genehmigt. Trotz massiver Widerstände seitens einiger Anwohnergruppen.
Die Gegend blüht, Berlin zeigt, dass es trotz vieler Querelen und stadtpolitischer Fehltritte weitergeht. Die Mischungs aus moderner Stadtnähe und Erholungsgebiet zieht Alt und Jung an. Eine Gruppe Anrainer ist mit der neuen Entwicklung allerdings gar nicht einverstanden: Linke, Linksradikale, Hippies, Aussteiger, Versager und Obdachlose erheben seit Jahren Anspruch auf die (Mit)Nutzung der Rummelsburger Bucht.
Eine Gruppe sticht besonders heraus: Inmitten der Bucht leben buntgemischte Aussteiger auf einem schwimmenden Etwas, das sich „Neu-Lummerland“ nennt und aus einer „Mutterinsel“ und angetauten Schiffchen und Booten besteht. Dort wohnen bis zu 50 linke Aussteiger. Mittlerweile versucht der Berliner Senat die „Besetzer“, was sie juristisch in diesem Fall nicht sind, aus der Bucht herauszubekommen. Der Senat versuchte daraufhin mit Ankerverboten die Hausboote vom See zu bekommen. Er scheiterte.
Versucht hier die kalte Politik Bewohner des Sees zu vetreiben, um die kapitalgetrieben Gentrifizierung voranzubringen? So stellen es zumindest die Meinungen von ganz links dar und auch die Presse gibt den Verteidigern alternativen Lebensstils Schützenhilfe, wie der „Tagesspiegel“ im Januar berichtete.
Aber auch dem linksgerichteten Blatt aus der Hauptstadt bleibt nichts anderes übrig, als die Gegenseite darzustellen. Dort heißt es:
„Uferbewohner beschweren sich über das laute Leben auf dem Wasser. Im vergangenen Jahr war die Wasserschutzpolizei an 167 Tagen auf dem Rummelsburger See im Einsatz. Die Grüne Clara Herrmann, Umweltstadträtin von Friedrichshain-Kreuzberg, spricht von einem „Beschwerde-Hot-Spot“: Klagen über Drogen, Müll, Lärm und Aggressivität. Laut dem Abgeordnetenbüro von Innensenator Andreas Geisel wurden hier fünf Haftbefehle vollstreckt. Die Pressestelle der Polizei konnte das nicht bestätigen und spricht von zwei vollstreckten Haftbefehlen durch die Wasserschutzpolizei im letzten Jahr. Zudem habe es mehr als 100 Anzeigen gegen Bootseigentümer gegeben. Anwohner, die sich an Lummerland stören, wollen nicht namentlich genannt werden. Aus Angst vor den Seebewohnern, wie sie sagen.“
Tagesspiegel
Dass in diesem Zusammenhang nicht von Terrorismus, Tyrannei oder – zumindest spöttisch – von Piraterie gesprochen wird, ist seltsam. Doch die Geschichte der Anrainer der Rummelsburger Bucht schafft es kaum aus der Hauptstadt heraus. Lediglich die überregionale „taz“ greift das etwas absurd anmutende Szenario auf, spricht allerdings von „Aktivist_Innen“ und schlägt sich auf ihre Seite.
Was ebenfalls nicht überrascht: Abseits der halbkriminellen Störenfriede in der Bucht hat sich auch am Ufer etwas getan. Denn jeder tüchtige – oder nichttüchtige Pirat – hat einen Heimathaften. Und der steht aufgrund des genehmigten Baugrundstückes der „Coral World“ unter Beschuss.
Vergangenen September hat im Angesicht der angeblichen Verdrängung eine „Wagengruppe“ die Parzellen an der Rummelsburger Bucht besetzt. Die Gruppe mit dem Namen „DieselA“ brauche Platz, berichtet „rbb24“.
Dass der frisch entstandene Platzmangel den umherziehenden Wohnungslosen in Zelten, Bauwagen und sonstigen Unterständen kurz vor dem geplanten Baubeginn einfällt, ist durchaus bemerkenswert. „Wir besetzten dieses Grundstück, um klarzustellen, dass wir uns mit den hier in der Bucht und berlinweit stattfindenden Kämpfen um Wohnraum, alternative Lebensweisen, unkommerzielle und selbstverwaltete Nutzungen verbünden“, gibt man aber offen zu. Zudem lädt man andere „Alternative“ ein, sich es am Rand des Sees gemütlich zu machen. Das Ganze riecht eher nach politischem Aufmerksamkeitsbedürfnis als nach Kampf um einige Quadratmeter.
Es geht den Aktivisten um „Verdrängung“ und „Gentrifizierung“ – das auch schon seit Jahren. Die Gegend um die Rummelsburger Bucht ist eine Anlaufstelle für Obdachlose, die abseits der Stadt leben möchten. Die Grenzen zu linken Aktivisten verlaufen hier fließend. Wie es an der Rummelsburger Bucht noch vor gut einem Jahr aussah, zeigt ein Film der Abendschau.

Zusätzlich zu den autochthonen Wohnungslosen kommen Zigeuner, die nachdem ein Lager vermüllt wurde, weiterziehen. Das Gelände sieht dementsprechend aus. Niemand ist zuständig, die Parzellen gehören der Stadt – die sieht weg oder hat keine Ressourcen.
Das hat sich jetzt geändert. Durch Bewilligung und Verkauf Berlins an „Coral World“ beharren die neuen Eigentümer auf einer neuen Politik. Nach und nach setzt diese die Forderungen um und man legt eine härtere Gangart gegenüber den Besetzern ein.
In den letzten Monaten intensivierten sich dann die Auseindersetzungen zwischen „DieselA“ im „SabotGarden“, so der Name des besetzten Geländes, und der Polizei. Zwischenzeitlich hatten sich die Aktivisten auf Plattformen in den Bäumen zurückgezogen, um die Rodung zu verhindern. Ende März greift die Polizei schließlich durch. Das Gelände wird nach mehrmonatigen Katz- und Mausspiel geräumt. Der Uferbereich ist frei von Besetzern, die Bauarbeiten können beginnen.
Auf „indymedia“ beschweren sich mutmaßliche Aktivisten im Nachgang über die rabiate Vorgehensweisen der Ordnungshüter. Die verweisen wiederum auf den Verkauf an das Immobilienunternehmen, die mit einer Räumungsklage gegen die Besetzer vorgingen. Nach ungesicherten Angaben von „indymedia“ ist allerdings die Stadt noch immer Eigentümerin des SabotGarden. Auf dem seitenlangen Artikel der Besetzer wird hauptsächlich gejammert, dass man aus der eigenen Heimat „verdrängt“ worden wäre. Tatsächlich sprechen die Aktivisten sogar von einem Wohnsitz, meinen damit den Uferbereich im Nirgendwo.
Dabei handelt es sich um abwegige Behauptungen, um die eigene Besetzung öffentlicher – oder privater – Grundstücke zu rechtfertigen. Dass nach mehreren Jahren der Duldung und zuletzt fast einem Jahr Schonzeit gegenüber den wasserfreundlichen „Bewohnern“ endlich etwas unternommen wird, sei ein Rechtsbruch der Verwaltung, meint „indymedia“. Man schließt mit den Worten:
„Secus (gemeint sind die privaten Mitarbeiter der Securityfirma, die im Auftrag des Immobilienunternehmens dafür sorgt, dass niemand auf das Gelände eindringt) verpisst euch vom Sabotgarden! Gebt uns unseren Lebensraum zurück! Geht die Bullen nerven. Oder bleibt einfach daheim – das ist gerade eh das beste. An den Senat: Schmeißt die Investa GmbH vom Sabotgarden runter! Bucht für alle! Seht es als eure letzte Chance einen Hauch von Glaubwürdigkeit zu bewahren. Gegen eine Stadt der Reichen. Living spaces not yuppie places!“
Aber was ist eigentlich mit den hilfsbedürftigen Obdachlosen, die wirklich ihren Rückzugsort abseits der Stadt an der Rummelsburger Bucht gefunden haben? Der Berliner Senat hat eigentlich mitgedacht:
„Anfang Februar haben die Senatsverwaltung für Integration, Soziales und Arbeit und der Bezirk Lichtenberg eine Unterkunft in der Köpenicker Allee geschaffen, mit Ganztagsbetreuung und 30 Übernachtungsplätzen. Das Angebot richtet sich explizit an die Obdachlosen an der Rummelsburger Bucht und vom Bahnhof Lichtenberg, wo ein weiteres Camp entstanden war.“
Quelle: Tagesspiegel
Was passierte? Kaum jemand nutzte das Angebot, wie der „Tagesspiegel“ berichtet. Stattdessen wünschte man sich Container und Duschen, die wiederum die Stadt bereitstellen sollte.
Diese dreisten Wünsche gehören jetzt der Vergangenheit an. Die Bucht ist geräumt. Und auch wenn die Parzellen um die Rummelsburger Bucht für Fortschritt, sozialer Hausbau (es wird sogar ein großer Teil mietgebundener Sozialwohnungen gebaut) und Spiel und Spaß offenstehen: Die alternative Linksaußen-Fraktion ist empört und sieht sich im Recht gegen eine unheilige Allianz aus privaten Investoren und der Berliner Politik, die aber bekanntlich rot-rot-grün ist. Ein doppelter Verrat.
Abseits des Ufers, im freien Wasser, hat sich nichts verändert. Dort liegen noch immer Boote vertäut. Die „Piraten“ auf Neu-Lummerland in der Rummelsburger Bucht bleiben. Auf zu den nächsten 167 Einsätzen der Wasserschutzpolizei wegen Drogen, Lärm und Müll. So schallt weiterhin das alternative Leben Berlins über die blaue Wasseroberfläche. Vorerst.