„Jahrzehntelang bildet die oppositionelle Kritik nur das Sicherheitsventil für die Massenunzufriedenheit und eine Bedingung für die Widerstandsfähigkeit der Gesellschaftsordnung“
Das sagte Leo Trotzki, russischer Revolutionär und Sozialist, Gründer einer eigenen sozialistischen Richtung, dem Trotzkismus. Trotzki fiel vor fast genau 80 Jahren seinem innerparteilichen Konkurrenten, Josef Stalin, zum Opfer. Seitdem ist viel geschehen und die sozialistischen Systeme haben sich beinahe leise von der Bildfläche verabschiedet.
Verschiedene Strömungen
Zwar ist der klassische Sozialismus in grünem Gewand – Ökologismus – oder sozialpolitischem Gewand – Identitätspolitik – wieder auf dem Vormarsch, aber die Ziele der Linken und Linksradikalen, eine klassenlose Gesellschaft zu schaffen, liegen wieder in weiter Ferne.
Während der klassische Marxismus an jeder Uni gelehrt wird, Elemente des Lenismus noch immer in der randständigen Partei MLPD überdauert haben, haben die Maoisten vergangenes Jahr eine schwere Niederlage einstecken müssen: Der „Jugendwiderstand“, ein schlagkräftige Truppe voll Linksradikaler, wurde verboten. Elemente des Stalinismus, auch wenn man sie nicht direkt zuordnen würde, vegetieren in der LINKEN vor sich her, wenn auch getarnt in moderner linker Politik. Und der Trotzkismus? Gibt es noch Anhänger dieser linken Ideologie?
Exkurs: Die permanente Revolution
Der Trotzkismus als eigene sozialistische Strömung unterscheidet sich von den gemäßigteren Menschewiki und den radikaleren Bolschewiki. Die
Menschewiki dachten, dass die Revolution in Stationen stattfinden müsse:
Erst wird der Zarismus beseitigt, dann die Bourgeoisie und schließlich der
Kapitalismus, also der Besitzstand der Produktionsmittel. Der
Bolschewismus hingegen wollte den ersten Schritt nicht in die Hände der
Bourgeoisie geben, da man dem Bürgertum reaktionäre Tendenzen
unterstellte. Die Macht im Staate soll sofort auf die „demokratische
Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft“ übergehen. Der
Trotzkismus verfolgte eine andere Strategie, die der „permanenten
Revolution“. In allen Ländern und Gebieten der Welt müssen andauernde
Revolutionen des Proletariats und der Bauernschaft stattfinden. Eine
„proletarische Internationale“ soll dafür sorgen, dass sich durch kleine
Revolutionen nach und nach der Sozialismus etabliere. Eine einmalige Welt-revolution, wie von vielen Sozialisten favorisiert, sei unrealistisch und
könnte leicht scheitern.
Totgesagte leben länger
Bis zum Jahr 2007 gab es in Deutschland noch „offizielle“ Vertreter einer trotzkistischen Richtung. Dabei handelte es sich um die nationale Untergruppierung der „International Socialist Tendency“ (IST), die sich global dem Trotzkismus verschrieben hat. Eine aus trotzkistischer Sicht logische Herangehensweise. Die „IST“ stellte und stellt sich im Gegensatz zu vielen Marxisten und Stalinisten gegen die reale Sowjetunion. Dieser sei nur eine Ausformung des Staatskapitalismus. Über die „IST“ weiß man relativ wenig, die Entscheidungsträger und die Wirkungsweise der Trotzkisten liegt im Verborgenen. 1960 in London gegründet und dort immer noch ihren Hauptsitz, unterhält sie Organisationen in über 25 Ländern. Ob sie im Verborgenen Erfolge vorzuweisen hat oder lediglich eine kleine Randexistenz vorweist, lässt sich schwer sagen, da trotzkistische Elemente von neomarxistischen Ideen kaum auseinandergehalten werden können. Was aber gesagt werden kann: Der Westen entwickelt sich in eine Richtung, die auch den Trotzkisten passt.
Das Ende der deutschen Trotzkisten
2007 kam es trotzdem zur deutschen Auflösung. Der Grund: „Mit der Fusion von WASG und Linkspartei ist eine linke Alternative zur Sozialdemokratie entstanden. Die SPD hat sich von ihrem Anspruch, Interessenvertretung der Lohnabhängigen zu sein, immer weiter entfernt.“ So lautet zumindest die offizielle Presseerklärung der Vereinigung. Zudem sei die politische Arbeit mit einer wachsenden Linkspartei stetig unbedeutender geworden. Inwiefern es „Linksruck“ geschafft hat, mit ihrem politischen Entrismus in der LINKEN zu verwachsen, ist unklar. Der letzte „Befehl“ von Linksruck ist eindeutig: „Die Konferenz fordert alle Mitglieder von Linksruck auf, mit ihren Ideen und Traditionen am Aufbau der LINKEN mitzuwirken und zur Stärkung marxistischer Positionen beizutragen.“
Ein Teil des Personals wird sicherlich „anonym“ in der neuen politischen Partei untergekommen sein, wieder andere haben sich zurückgezogen. Betrachtet man die Strategien der „Neuen Linken“, egal ob parteigebunden oder durch „freie“ linke Strukturen, legt ihr Verhalten zumindest eine Übernahme trotzkistischer Elemente nah: Die permanente Revolution (Abgase, Industriefeindlichkeit, Mieterbewegung, Klimawandel, Waldschutz, Migration, Schwulenrechtsbewegung) mit wechselnden Revolutionssubjekten ist Teil der linken DNA. Ein dritter Teil gründete schließlich eine indirekte Nachfolgeorganisation von „Linksruck“, die sich um das junge Magazin „marx21“ gruppierte.
Exkurs: Entrismus
Beim „Entrismus“ handelt es sich um eine politische Strategie, bei der sich Gruppierungen gezielt in bestehende Strukturen einschleusen und die Organisation nach und nach zu beeinflussen oder übernehmen. Der bekannteste Fall ist die Aufforderung Leo Trotzkis an „seine“ französischen Trotzkisten in die „Section française de l’Internationale ouvrière“ (SFIO), eine
sozialdemokratische Partei, einzutreten, um politische Macht zu gewinnen und die revolutionären Sozialisten innerhalb der „SFIO“ als Unterstützer
Trotzkis zu gewinnen. Es gibt den versteckten Entrismus, bei dem man
seine eigenen Motive verbirgt und langfristig im Untergrund arbeitet,
oder den offenen Entrismus, bei dem jeder weiß, dass man für eine
trotzkistische Gruppierung agiert.
Erfolgreicher Entrismus?
Inwiefern es Marx21 oder andere Nachfolger der Trotzkisten geschafft haben, Einfluss auf die LINKE auszuüben, ist heute unklar. Nach Angaben des Journalisten Mathias Meisner für den Tagesspiegel ist die Lage bereits 2007 deutlich: „Die Trotzkisten von „Linksruck“ unterwandern die Linkspartei und sagen den Pragmatikern den Kampf an. Die Parteispitze beobachtet diese Entwicklung mit Argwohn.“
„Inhaltlich geht „Marx 21“ auf Konfrontationskurs zum pragmatischen Flügel der Linkspartei. Regierungsbeteiligungen werden abgelehnt – „solange die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse in Deutschland nicht fundamental verändert sind“, so die Aktivisten von Marx21. Aber das war 2007 und seitdem sind dreizehn Jahre ins Land gezogen…
Klar verfassungsfeindlich
2008, also ein Jahr nach der Gründung, wurde „marx21“ zuerst vom bayrischen Landesamt für Verfassungsschutz als linksextremistisch eingestuft. Das bayrische Amt ist dafür bekannt, linksradikale Organisationen lieber früh als spät im Verfassungsschutzbericht zu erwähnen. Drei Jahre später, 2011, folgte das Bundesamt für Verfassungsschutz der gleichen Auffassung und stufte „marx21“ als offen linksextrem ein. Man arbeite gegen die Freiheitlich Demokratische Grundordnung. Ebenfalls hält der Verfassungsschutz fest: „Herausgehobene Funktionen in der Partei „DIE LINKE.“ bekleiden ehemalige „Linksruck“- und heutige „marx21“-Angehörige. So gehören Janine Wissler dem Parteivorstand, Christine Buchholz dem Parteivorstand und der Bundestagsfraktion sowie Nicole Gohlke der Bundestagsfraktion an.
Janine Wissler ist mittlerweile so erfolgreich, dass sie sich gute Chancen auf den Parteivorsitz der LINKEN ausrechnet. Ihre Kandidatur hat Wissler Mitte September bekanntgegeben. Zeitgleich legte sie ihre Mitgliedschaft bei „marx21“ ab – Teil einer „klar verfassungsfeindlichen“ Gruppierung zu sein, steht einer möglichen Parteivorsitzenden nicht so gut.
Verfassungsschutz forscht nicht nach
Zwischen 2011 und 2019 erscheint „marx21“ in verschiedenen Verfassungsschutzberichten. Die Erwähnungen gleichen sich: Trotzkismus, kommunistische Gesellschaftsordnung, Entrismus, nicht anerkannter Parteienverband. Umso bemerkenswerter ist es, dass der Verfassungsschutz eine linke Organisation des Entrismus bezichtigt, aber an keiner Stelle erwähnt, wie genau dieser Entrismus aussieht: Welche Politiker stehen marx21 nahe? Wer nimmt an der „Marx-ist-muss“-Konferenz Teil? Welche Inhalte wurde von marx21 in die LINKE eingebracht?
Linkes Finanzierungskonzept
Und vor allem: Wie finanziert sich marx21, ein eingetragener Verein, der nicht offiziell von den LINKEN anerkannt wird? Die Website, die 2014 erneuert wurde, wirkt kostspielig, es erscheinen regelmäßig Artikel und die Aufmachung der Seite sowie des gedruckten Heftes ist professionell. Zudem vertreibt man sozialistische Bücher, die sich mit verschiedenen Aspekten wie „Klimakrise und Marxismus“, „Kampf für die Abtreibung“, „Religionstheorie“ oder „Rebellen“ befasst, die in der Reihe „A Rebels Guide“ erscheinen. Darunter Rosa Luxemburg aber auch Lenin.
Jetzt wird es interessant: Diese Bücher werden offiziell unter dem Namen „Edition Aurora“ vertrieben. Ein anderer Name, aber die gleichen Macher: Marx21. Nichtmals der Bestellvorgang der Seite wird über „Aurora“ abgewickelt, sondern der Kunde wird direkt auf die Website von marx21 weitergeleitet. Von einer wirklichen Trennung zwischen dem linskextremen Netzwerk und dem Buchverlag kann man also nicht ausgehen.
Das brisante: „Edition Aurora“ ist ein nach Eigenangaben gemeinnützig. Demensprechend darf man Spendenquittungen ausstellen, die die Spender von der Steuer absetzen können. Ein gigantisches Geschäftsmodell, wie auch der Entzug der Gemeinnützigkeit von „campact“ oder „attac“ bewiesen hatte. De fakto ist marx21 gemeinützig und linksextremistisch. er hilft der Gesellschaft und arbeitet zugleich gegen die Gesellschaft. Ein Spagat, den es nur in der Bundesrepublik gibt.
Der nächste Schritt
Aber kommen wir zurück zum Entrismus der Trotzkisten. Der Marsch durch die LINKE könnte am 30. Und 31. Oktober abgeschlossen sein. Nach dem erklärten Rücktritt von Parteivorstand Bernd Riexinger und Katja Kipping, wird Janine Wissler gemeinsam mit Susanne Hennig-Wellsow antreten. Wissler ist trotz der offiziell „abgelegten Mitgliedschaft“ bei marx21 eines: jung, charmant, radikal, sozialistisch – und offensichtlich auch trotzkistisch. Bislang sind keine Gegenkandidaten bekannt. Fassen wir zusammen: Eine Frau, die seit Jahren bei einer trotzkistischen Vereinigung aktiv ist, arbeitet sich langsam nach oben und legt vor ihrer Wahl die Mitgliedschaft einer Organisation ab, die für schleichende Unterwanderung bekannt ist? Na dann ist ja alles in Ordnung.