Ich hocke am Straßenrand und versuche […] eine panische Frau und ihre zwei […] Töchter von dem […] Tränengas abzuschirmen. Ein Polizist schaut mir mitten ins Gesicht. Dann feuert er Tränengas direkt in unsere Richtung.
Was sich ein wenig anhört wie das Drehbuch eines Michael Bay Films, ist der – mutmaßlich – stark ausgeschmückte Erlebnisberichts eines linken Aktivisten auf Lesbos. Man spricht von Chaos, Polizeigewalt, Hunger und Leid und färbt die Erzählung in den typischen linksradikalen Opfersprech. So oder so ähnlich lesen sich die meisten Artikel eines neuen Magazins, das in Aachen gegründet wurde.
Das „kritische“ Magazin mit dem Namen „Tacheles“ vertritt linke bis linksradikale Meinungen, berichtet über Wohnungsnot, soziale Ungleichheit, illegale Hausbesetzungen und böse Chefs. Damit reiht sich „Tacheles“ in hunderte kleiner und kleinster Zeitschriften ein, die entweder ehrenamtlich betreut oder querfinanziert werden.
Auf einem achtseitigen Auszug kann man Tacheles online als PDF-Dokument lesen. Es wirkt wie eine Schülerzeitung aus den 80ern und ist im Bereich zwischen linker Poliitk, Klimaschutz, Antifaschismus und Linksradikalismus verortet. Man berichtet über Gegenkundgebungen zur AfD, die „Hölle der griechischen Lager“, solidarische Plattformen und die typische präuniversitäre Gesellschaftskritik. Dabei ist man zwar scharf links, allerdings nicht als extremistisch einzuordnen.
Exkurs: Plattform von ganz links
Das Kooperationsprogramm „LinksNet“ wird durch die Rosa-Luxemburg-Stiftung, also die Parteistiftung der LINKEN mitfinanziert. Nach Eigenangaben fließen direkte monatliche Gelder zwischen 500 und 1000 Euro in die Plattform. Auf „LinksNet“ hat man Zugriff auf dutzende linke, linksradikale und sogar linksextreme Zeitungen, wie beispielsweise „marx21“, die im Verfassungsschutzbericht geführt wurde. Online kann man auf fast 18.000 Artikel zugreifen. Inwiefern die kleinen Magazine auf LinksNet unterstützt oder durch etwa Anzeigenschaltung mitfinanziert werden, ist nicht bekannt. Wie verwoben die Finanzierungsstrukturen sind, erkennt man beispielsweise an den Lateinamerika-Nachrichten (LN). Die sitzen im „Mehringhof“, der zentralen linken Anlaufstelle in Berlin, und sind Kooperationspartner von „LinksNet“. Zudem ist man Mitglied im Berliner „Berliner Entwicklungspolitischer Ratschlag e.V.“. Dieser Verein wird wiederum vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und vom „Senat der Stadt“ gefördert. Träger der „LN“ ist ein gemeinnütziger Verein mit dem Namen „Lateinamerika Nachrichten e.V.“
Aber was ist an „Tacheles“ so besonders, dass man der Erstausgabe einen eigenen Artikel widmet? Was das Magazin für den politischen Gegner, den konservativen oder Liberalen so interessant macht, ist die intellektuelle Bankrotterklärung der linken Szene, die absolute Inhaltslosigkeit des Magazins.
Intellektueller Abstieg
Während in den 60er und 70er-Jahren linke Ideen auf einem gewissen Niveau existierten und zumindest nachvollziehbar waren, wurden alle wirklichen Forderungen bereits in die etablierte Politik umgesetzt. Zurück bleiben die Reste eines immer abstruser werdenden Forderungskatalogs. Ein Beispiel: Wo man vor 50 Jahre für die Rechte der Frau einstand, steht man heute für die Rechte von „Interpersonen“ ein, also Menschen, die sich nicht auf ein Geschlecht beschränken lassen (können oder wollen). Davon gibt es im Bundesgebiet maximal 100 Stück.
Es geht der radikalen Linke nur noch um symbolträchtige Paradiespolitik ohne Sinn und Verstand. Doch was macht man, wenn das eigene Narrativ nicht mehr existiert? Richtig: Man steckt sich selbst in die Opferrolle, um weiterhin Macht und Aufmerksamkeit zu gewinnen. Und so liest sich jeder Artikel gleich: Angebliche Repression. Was können wir tun? Es wird ein kleines Zeichen gesetzt und zum Widerstand aufgerufen. Darauf folgt wieder eine angebliche Repression. Und so geht das Spiel weiter.
Selbstbeweihräucherung
Seit Jahrzehnten übt man sich in der eigenen, unterdrückten Rolle, durch Staat, Kapital, Nazis und das „System“. Doch nichts ändert sich, nichts bewegt sich für die autonomen Kämpfer. Sie müssen weiter erfundene „Opfer“ bleiben, um eine Existenzberechtigung zu besitzen. Dementsprechend ist der einzige Wechsel in der linksradikalen Szene der der Personen und nicht der der Paradigmen. Die älteren Vorkämpfer verlassen die Universität und sind nach ihrem ersten Monatsgehalt in Stiftungen oder direkt beim Staat mit dem bürgerlichen System gar nicht mehr so unzufrieden. Lebensversicherungen und Gartenzäune haben offensichtlich doch ihren Reiz und nur ein geringer Prozentsatz der ehemaligen Gerechtigkeitskämpfer verbleibt wirklich als Aussteiger in der linken Szene.
Neue Generation – alte Leier
Doch wieder wächst eine neue Generation heran, die den hehren Idealen ihrer Vorgänger folgen, meist selbst Kinder bürgerlicher Familien, denen in Schule und Universität beigebracht wird, dass die Welt total ungerecht sei. Sie gründen seit Jahrzehnten Minizeitschriften, Demoplattformen, demonstrierten gegen die DVU und die Republikaner, heute gegen CSU, AfD und NPD und merken dabei nicht, dass sie sich in einem Hamsterrad befinden. Das linke Hamsterrad, dass sich alle paar Jahre neu erfinden und neu würzen muss – aktuell mit „Black Lives Matter“ und Klimagerechtigkeit.
Und genau das sieht man auch in der Totgeburt von Tacheles. Der Spielmann spielt die alte Leier – und alle tanzen mit.
Hier einen Blick in Tacheles werfen.