Am sogenannten Arbeiterkampftag, dem wichtigsten „Feiertag“ linker und linksradikaler Kräfte, kommt es regelmäßig zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Autonomen. Im letzten Jahr ist es in der Hauptstadt, normalerweise Brennpunkt der Kämpfe, überraschend ruhig geblieben. Die „Revolutionäre 1. Mai Berlin“ (R1MB) zog einigermaßen friedlich durch die Straßen Berlins, scharf kontrolliert und eingehegt von Polizeieinheiten.
Zwei Wochen vor dem 1.Mai 2020 steht die radikale Linke vor einem weiteren Problem: Nicht nur das eigene revolutionäre Potenzial sinkt unaufhörlich, auch die Corona-Krise steht der „R1MB“ im Weg. Inwiefern die Versammlungsverbote bis zum Arbeiterkampftag aufgehoben werden, steht noch in den Sternen.
Dass sich die Berliner Demonstranten in und um Friedrichshain, die Rigaer Straße und die Liebigstraße nicht von Gesetzen aufhalten lassen, haben sie in den letzten Jahren regelmäßig gezeigt. Jetzt ruft man auf „indymedia“ dazu auf „dezentral aktiv zu werden“. Was genau das heißt, wird spätestens am 27. April feststehen. Dort „werden wir als Bündnis unseren Plan für den Abend des 1. Mai in Berlin vorstellen“, schreibt man selbstsicher.
Plausibel ist allerdings eher, dass man laut bellt, um weiterhin die rebellische Rolle zu wahren. Vermutlich werden vereinzelte Grüppchen durch Berlin ziehen, mit Farbe um sich schmieren und lauthals gegen Rüstungsexporte und geschlossene Grenzen demonstrieren. Eine koordinierte 1. Mai Demo mit Ausschreitungen und Gewalt gegenüber Polizei und Eigentum, wie in den 90ern oder den 2000er Jahren ist in noch weitere Ferne gerückt.
Direkt zu Beginn des Aufrufs stellen die Organisatoren klar, dass man die „Ansteckungsgefahr durch Corona“ ernst nehme und andere schützen wolle. Dass sie dadurch genau den Vorschriften der eigentlich verhassten Politik folgen, birgt sicherlich eine gewisse Ironie, ist aber der Situation geschuldet.
Auch im Herz der antifaschistischen Protestkultur könnte es bald eine neue Entwicklung geben. Ende April steht das Räumungsverfahren gegen das besetzte Haus in der Liebigstraße 34 statt. Sollte die Räumung zu Gunsten der Eigentümer beschlossen werden und auch die 1. Mai Demo nur ein schwacher Abklatsch der alten linken Dominanz in Berlin sein, muss sich die radikale Linke wohl oder übel die Frage nach Sinn und Existenz ihrer Bewegung stellen. Es wird noch Jahre dauern und von einigen Auseinandersetzungen begleitet werden, bis die linksradikale Szene wirklich zerfällt. Doch die Zeichen stehen gegen die perspektivlosen Jugendlichen im Herzen einer sich wandelnden Stadt.
Wusstest du schon? Nazis und Sozialisten waren sich zwar oft spinnefeind, kooperierten aber gelegentlich gegen das Bürgertum. Hier geht’s zur Geschichte der Antifa.